Mittwoch, 26. Dezember 2007

Traumdeutung Von Freud zu Jung

Von Freud zu Jung
Sind wir nicht Bürger zweier Welten? - Leben nicht zwei
Wesenheiten in uns, sich bewegend auf grundverschiedenen
Erlebnis-Sphären? Beherrschen uns nicht zwei gesonderte
Bewußtseinszustände, die im Rhythmus von Schlaf und Wachen
ständig wechseln? –
Jede Nacht betreten wir das geheimnisvolle Reich des
Traumes, lassen uns von seinen Gaukelkünsten faszinieren,
beglücken, beunruhigen, quälen. Meist sind es nur kümmerliche
Fragmente, die wir herüberretten; mitunter ist es das dumpfe
Gefühl, irgend etwas habe sich ereignet, irgend etwas sei mit
uns vorgegangen. Oft fehlt auch dies. Verständlich, wenn
manche behaupten, noch nie im Leben geträumt zu haben.
Lange wurde der Traum als etwas Sinnloses, Wertloses
abgetan. Wer achtete schon seiner? Tat es jemand, so galt er für
rückständig, einfältig, abergläubisch. Wem aus der Reihe der
Wissenschaftler und aufgeklärter, gebildeter Laien wäre es
damals in den Sinn gekommen, der unverständlichen
Bildersprache des Traumes mit ihrem krassen Kunterbunt,
ernsthaft Bedeutung beizumessen? Mitleidigen Lächelns
überließ man die angebliche Entschleierung dieses Wirrwarrs
Okkultisten und sonstigen Phantasten. Jeder, der auf den
gesunden Menschenverstand schwur, fand es unter seiner
Würde, sich mit solchen Abfallprodukten eines kontrollos
arbeitenden Gehirnes zu beschäftigen. ‚Träume sind Schäume’,
hieß die Losung einer Zeit, die die menschliche Seele aus den
Hörsälen verwiesen hatte.
Mochte immerhin der allmächtige Zufall hartnäckig schwer
zu leugnende Zusammenhänge zwischen Traum und Tag-
Erleben aufzeigen, man achtete nicht darauf, wollte es einfach
nicht wahrhaben.
So ist es als wahrhaft kopernikanische Tat zu werten, daß der
1856 geborene Arzt Sigmund Freud den Mut aufbrachte,
entgegen der Meinung seiner Zeit, sich eingehendst mit dem
Traum und dessen Symbolik zu beschäftigen und die
Erfahrungen hieraus in seiner Praxis therapeutisch auszuwerten.
Damit war die Vormachtstellung des Wachbewußtseins
gebrochen. Erstmalig rückte das Unterbewußtsein in das
Blickfeld exakt-wissenschaftlicher Betrachtung, und der Traum
war der sicherste und nächste Weg zu diesen bisher kaum
betretenen Gefilden.
Freud erkannte den Traumzustand sehr richtig als Mittler
zwischen Wachdenken und Unbewußtem.
Leider kann dem Begründer der Psychoanalyse der Vorwurf
der Einseitigkeit nicht erspart bleiben. Das von ihm geschaffene
System wurzelt zu sehr im Nur-Sexuellen. Für ihn spricht aus
jedem Traum sinnliches Verlangen, sprachen heimliche, zumeist
nicht eingestandene oder gewaltsam verdrängte Wünsche
unserer Triebnatur.
Mit dieser Auffassung geriet er in Gegensatz zu seinem
vierzehn Jahre jüngeren Zeitgenossen und Schüler Alfred
Adler, dem Schöpfer der Individualpsychologie.
Huldigte Freud einem Pan-Sexualismus, sind es für Adler
Gegensätze zwischen dem Lust- und dem Realitätsprinzip,
zwischen der Libido und der Anpassung an Gesetz, Moral usw.,
- so führt letzterer alles auf den Gegensatz zwischen Wollen und
Können zurück; der Wille zur Macht einzig und allein ist es, das
Streben sich durchzusetzen.
Für Adler bedeutet also das Traumgeschehen die mehr oder
minder geglückte Erfüllung der Absichten des im Alltag
geduckten Machtbewußtseins. In jedem Falle ist das
Machtverlangen das Primäre, selbst dort, wo scheinbar
zweifelsfrei sexuelle Motive zutage treten; da ja für Adler auch
die gegenseitige Anziehung der Geschlechter ein Kämpfen, ein
Ringen ist um die Vormachtstellung. Sexuelle Potenz ist für ihn
ein Machtfaktor. In der Hauptsache jedoch hält er den Traum für
ein krankhaftes Produkt.
Bestimmt liegt einer großen Zahl von Neurosen, besonders in
jüngeren Jahren, nichterfülltes Geltungsstreben zugrunde. Der
richtig analysierte Traum vermag ohne weiteres die
krankmachenden Ursachen verborgener Seelentiefen
aufzuhellen; denn oft schildert er Situationen, die wir nicht
wahrhaben wollen. Nicht zu Unrecht spricht man von ihm als
einem Reinigungsprozeß der Seele. –
Wie sich nun Adlers Theorie in zahlreichen Fällen
bewahrheitet, bewährt sich auch Freuds Behauptung von der
Allmacht des Sexus, der Libido, bei vielen Individuen,
insonderheit bei niederen, trieb verhafteten Naturen. In den
ersten Jahren der Psychoanalyse mag dies sogar noch stärker
seinen Ausdruck gefunden haben. Die Menschen lebten in jenen
Tagen vor den beiden Weltbränden unbeschwerter, bar
drückender materieller Lasten. Der Großteil der Begüterten
damals neigte zu Wohlleben, Genußsucht und Verweichlichung.
Bezeichnend spricht man heute von der sogenannten
„Plüschkultur“ jener Zeitepoche, die zugleich ein Übermaß an
Muckertum, Scheinheiligkeit und Heuchelei hinter ihrer
untadelig scheinenden Moralfassade barg.
Mögen immerhin - besonders für den Durchschnittsmenschen
- Gier nach Befriedigung des Triebsinnlichen und der Wunsch
nach Erlangung von Einfluß und Macht eine das Traumleben
ständig speisende Quelle sein und ungezählte Nachtgesichte auf
dieser Basis ihre Enträtselung finden - zu vieles bleibt noch,
dem die beiden vorgenannten Motive nicht unterschoben werden
können, obgleich jene Schulen oft versuchen, auch diese
Traumkategorien in das Prokrustesbett ihrer Deutungsregeln zu
zwängen.
Dies Fehlende erkannte vor allem der Schweizer Arzt C.G.
Jung. Für ihn ist der Traum die Selbstdarstellung der aktiven
Lage des Unterbewußten in symbolhafter Form; und dieses
Unbewußte ist ihm nicht mehr nur Rumpelkammer, die Kloake
Freud’scher Schule, ihm ist es der Quellgrund, dem die Urbilder
entsteigen, die schöpferischen Kräfte eines großen „Innen“.
Während Freud und Adler nur von einem persönlichen
Unterbewußtsein sprachen, aus dessen Inhalt sich Träume
formen, prägte Jung bekanntlich den erweiternden Begriff vom
„Kollektiven Unbewussten“, auf ein Substrat, auf eine
Seelenschicht weisend, an der wir alle - über Rassen-, Kultur-
und Bewußtseinsunterschiede hinaus - gemeinsam Anteil haben.
Es handelt sich, mit Jungs Worten, „rein psychologisch
genommen - um gemeinsame Instinkte des Vorstellens und des
Handelns“. Dieses kollektive Unbewußte, mit seinen in ihm
ruhenden Urbildern, den oft zitierten Archetypen, seinen
Bewußtseinsinhalten an Menschheitserfahrung, den urtümlichen
Instinkt der Volks- und Familienseele usw. gestattet Jung und
seiner Schule schier unbegrenzte Möglichkeiten der
Traumauswertung.
Keineswegs jedoch leugnen sie die Verdrängungstheorie
ihrer Vorläufer. Ja, sie gehen sogar darüber hinaus. Nicht nur
Schlechtes, sagen sie, auch ungelebte Werte sinken hinab ins
Unbewußte. Nicht zu vergessen ferner die Bedürfnisse religiöser
Natur, wurzelnd im Urtrieb, vom modernen Menschen leider
vielfach verdrängt.
Obzwar Jung striktens sich verwahrte, sein System mit
Metaphysik in Beziehung zu setzen, schlug er ungewollt doch
die Brücke, die zwangsläufig dahin führt. Spricht nicht der
moderne Tiefenpsychologe Jungscher Prägung von einem
„Urwissen der Welt“, das durch die Erfahrungen jeder neu
hinzukommenden Generation an Bereicherung erfährt?
Von diesem großen Unbewußten besitzen wir alle einen Teil.
Wir schöpfen einfach aus dem gigantischen seelischen
Reservoir, vermöge jenes in uns wesenden kollektiven
Unbewußten.
Der Gedanke klingt nicht neu. Längst hat er in esoterischen
Lehren seinen Ausdruck gefunden. Denken wir nur an die
Gruppenseele. Auch diese sammelt und verwertet die Eindrücke
unzähliger Generationen und übermittelt dies Erfahrungsgut
ihrerseits wieder als das, was wir gemeinhin Instinkt nennen,
wie ich in meinem Buch über die Tierseele näher dargelegt
habe.
Als Parallele dazu kann bis zu einem gewissen Grade die
Akasha-Chronik der Theosophen, das „Gedächtnis des Logos“
angesprochen werden.
In ähnlichem Sinne der Paläontologe Prof. Dr. Edgar
Dacqué: „Wenn wir die Wege erkennen wollen, auf denen
mythisch schauende und wissende Menschen in die innere
Natursphäre eindrangen, die unserem Wachbewußtsein und
Intellekt so völlig unzugänglich ist, so müssen wir uns vor allem
über den letzten Rest dieser inneren Schau und dieses inneren
Gesichtes, das wir bei uns selbst noch finden, klar werden: das
ist der Traum und das Hellgesicht. Die Träume - das muß
festgehalten werden - kommen aus dem Unbewußten, sie
kommen aus dem Unterseelischen; sie sind nicht einfach
Erinnerungen und Kombinationen aus den Erlebnissen des
Tages, sind nicht nur von Leibreizungen verursacht, wenn sich
auch natürlich solche Träume, die eben mehr oberflächlicher Art
sind, stets einstellen.

Solche Tagesreste geben nur das Bildmaterial zu echtem tiefen,
aus dem Unterseelischen kommenden Wissen, und der
träumende Geist ... knüpft daran, jene tieferen Einblicke, die er
aus dem Unbewußten erhält, und die nun in dem reflektierten
Bewußtsein eben als Bilder und Bildkombinationen erscheinen
...“