Donnerstag, 13. Dezember 2007

Träumen - eine biologische Notwendigkeit

„Wer nicht träumen kann, muß sterben,“ so der Titel eines
Aufsatzes in der Zeitschrift STERN. Durch ständiges Wecken
hinderte man eine Versuchsperson, 14 Nächte hindurch zu
träumen. Folge: Ein friedlicher Charakter wandelte sich zu einer
enthemmten, feindseligen Natur, strotzend vor asozialen
Gelüsten. Die Traumexperimente mußten abgebrochen werden,
andernfalls wäre die VP „psychologisch völlig
zusammengebrochen und letztlich wohl an Traumlosigkeit
gestorben“, wie der Versuchsleiter Prof. Wiliam C. Dement,
Universität Chicago, nachdrücklich betonte. Ohne Träume
würden wir „hilflos desorientiert erwachen und nach gewisser
Zeit möglicherweise überhaupt nicht wieder zum Bewußtsein
durchkommen“.
So scheint beim Gewohnheitssäufer das Traumleben gestört zu
sein. Anstelle des Traumes tritt als unerwünschte
Ersatzhandlung die Halluzination.
Demzufolge träumt also jeder Mensch, auch diejenigen, die
behaupten, noch nie geträumt zu haben; andernfalls erginge es
ihnen, wie Prof. Dernent feststellt, übel.
Ist Träumen Denken in anderer Form?
Kein wacher Augenblick, in dem die Gedankentätigkeit ruht.
Unentwegt wogt der Strom der Gedanken. - Setzt sich dieser
auch im Schlafe fort? Gestalten sich bei abgeblendetem
Bewußtsein die dahineilenden Gedanken zu Bildern, zu
Abläufen dramatischer Handlungen? Im Sinne des bekannten
Ausspruchs: Im Traum ist jeder Mensch ein Shakespeare.
Das Dramatische ist die Urform der Darstellung. Zwiesprache,
Dialog ist fruchtbares Gestalten. Das Unbewußte „denkt“ in
Bildern. Daher „bildert“ auch der Traum; daher auch die
Bilderschrift als ursprünglichstes Ausdrucksmittel sich bleibend
mitzuteilen.
Mein Erwachen, wie immer auch, bedeutet stets das Ende
eines Traumes; und umgekehrt, ehe das Wachbewußtsein
allmählich versinkt, zeigen sich mir die ersten Traumbilder. Und
Bilder wehen fort, sobald der Schlaf entflieht. Sie erlöschen erst,
wenn das Tagesdenken voll in seine Rechte tritt.
Dank eines Zufalls gelang es dem Assistenten der Chicagoer
Universität Eugen Aserinski nachzuweisen, daß ein
Schlafender träumt. Er entdeckte nämlich, wie der Träumende
hinter geschlossenen Lidern die Augen bewegte: Der sogenannte
REM-Schlaf. (REIM = Rapid Eye Movement = rasche
Augenbewegungen) Diese Entdeckung ermöglicht es der
Wissenschaft zu ermitteln, wann ein Schläfer träumt.
Großversuche entrissen auf diese Weise dem Traum so
manches seiner Geheimnisse; wobei früher Entdecktes
wiederholt in Frage gestellt wurde. So soll sich aus dieser Sicht
Freuds Königsweg zum Unbewußten (eben der Traum) als
Sackgasse entpuppt haben. Wieder einmal ist der (Großpionier,
der als erster Wissenschaftler den kühnen Versuch gewagt hatte,
in die Nachtseite der menschlichen Natur vorzustoßen, um den
Traum seiner Masken zu berauben, ins Kreuzfeuer seiner
Nachfolger geraten. Professor Dement, im Traum keinen
Wunscherfüller im Freudschen Sinne erblickend, spricht von
„irgendeinem Buchhalter ... der Gewinne und Verluste
registriert!“ Wofür es ein gerüttelt Maß an Beweisen geben soll.
Stets sind es jedenfalls die Tiefen des Unbewußten, in die wir
hinabtauchen müssen. Oder wie Daqué vor einigen Jahrzehnten
schon schrieb, Achelis zitierend: „Die Erschließung des
menschlichen Bewußtseins läßt erkennen, daß das Unbewußte in
uns gewissermaßen der große Vorhof ist, auf den die andere, die
übergeordnete Natur sich immerzu zum Vorstoß in die
diesseitige, die bewußte sammelt.“ (Das verlorene Paradies)
Zurück noch einmal zum REM-Schlaf. Er wirft noch ein
zweites Problem auf, und zwar hinsichtlich der Tierseele, deren
Existenz damit um so überzeugender ist. „Daß Tiere im Schlaf
auch träumen, darf heute mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit angenommen werden,“ schreibt Heini
Hediger im TAGESSPIEGEL vom 1. Mai 1986. „Schon 1963
konnte E. Hartmann bei einigen Tieren REM-Phänomene
nachweisen. Solche „rapid/-eye/movements“ (schnelle
Augenbewegungen) sind ein sicheres Indiz für Traumphasen."
Übrigens, daß Tiere träumen, davon war schon Jahrzehnte
vorher der berühmte Chirurg Carl Ludwig Schleich überzeugt;
ja er sprach ihnen sogar ein gewisses Maß an Phantasie zu, das
ihnen gestattet, „ihre Vorstellungen durch Gesten,
Schwanzwedeln, Pfotenbitten ... zum Ausdruck zu bringen.“
Drängt sich nicht da unwillkürlich die Frage auf (die auf uns
bezogen ja nicht minder gilt): Wer oder was nimmt im
träumenden Tier das Traumgesicht wahr? Wie überhaupt auch
jeden im Wachen empfangenen Sinneseindruck? Bei uns, beim
Menschen, so glaubt man wenigstens, ist dies bekannt.
Eine Binsenweisheit. Das durch das Auge vermöge des
Sehnerv weitergeleitete Bild gelangt zum Sehzentrum, der durch
das Ohr vermittelte akustische Reiz eilt zum Hörzentrum, und so
ist es mit allen Eindrücken. Alles das aber erfüllt nur dann
seinen Zweck, wenn es von einer übergeordneten Zentralstelle
registriert wird. Von uns, von unserem Ichbewußtsein
selbstverständlich, sagen wir. Ist es wirklich so
selbstverständlich? Oder haben wir es hier bereits mit einem
nicht mehr der physischen Dingwelt angehörenden Prinzip zu
tun? Ein Prinzip, das Schleich sicherlich im Sinne hatte, als er
die tiefgründigen Worte niederschrieb:

Carl Ludwig Schleich: Gedankenmacht und Hysterie
„Auf den feinsten Nervensaiten
spielt ein Spielmann sein Gedicht,
wohl siehst du die Finger gleiten,
doch den Spielmann siehst du nicht.“

Und dieser „Spielmann“ ist nicht mehr von dieser Körperwelt,
wohl aber der Dirigent aus höherem Daseinsplane, der alles
lenkt und leitet, im Körperlichen wie im Geistigen.
Und beim Tier? Vermitteln nicht auch hier Sinnesorgane und
Nervenleitungen den jeweiligen Hirnzentren die empfangenen
Eindrücke? Aber wer ist hier der Empfänger? Auch ein
„Spielmann“? Niederen Grades vielleicht, jedenfalls aber ein
Prinzip, das gleich unserem „Spielmann“ die Eindrücke der
Sinnenwelt aufnimmt, ja das sogar Pferden und Hunden
Rechnen und Buchstabieren beibrachte und Affen die
Taubstummensprache,3 und das gleicherweise im
UNBEWUSSTEN wurzelt, somit auch dem Traumreich
verbunden ist. Träumen demzufolge auch beim Tier, beim
höheren zumindest, eine biologische Notwendigkeit.
Letzten Grundes schöpfen wir alle aus gleicher Quelle, wir und
das Tier, Menschenseeie wie Tierseele.